Wednesday, March 21, 2012

Leiden der fiktiven Figur

Einmal hinausgeschaut, klammere ich mich mit jedem Wort, jedem Buchstaben an der Welt fest. Es ist als gäbe es mich nicht, wenn diese Worte, dieser Text nicht wären. Eine bloße Erinnerung, kein Zeugnis meiner Existenz. Wie eine Lichtreflexion - aus den Augenwinkeln wahrgenommen - vorbei ist, sobald man sie bemerkt. Wie ein Traum, der erst so erlebbar und plötzlich gar nicht da zu sein scheint. Doch genau wie die Reflexion, wie der Traum, existiere ich, wenn auch nicht allen bewusst, in meinem Erleben. Doch was passiert, wenn keine Worte entstehen? Ist dann nichts? Nur Einbildung? Ein Gedanke, ein Glaube an etwas, das gar nicht ist? Wo bleibt die Greifbarkeit der Realität? Greifbar ist hier nur, was sich in Wort oder Text manifestiert. Und ich möchte leben! Ich möchte dabei sein, auch wenn nicht einmal ich an mich denke. „Lasst mich leben!“, rufe ich mit jedem Wort, das sich hier niederlegt!

Ich möchte immer weiter Rilkes Ringe versuchen, sehen was mein nächster Horizont birgt, was dahinter liegt. Ich möchte herausfinden, ob ich der Gesang aus dem Innern des Turms bin, oder seine uralte Tradition zu erschüttern vermag. Und wenn es das Nest ist, was ich irgendwann finden soll, so möchte ich danach streben es zu finden! Dauert es auch Jahrtausende. Dann ist vielleicht jenes, was sich an diesen Worten festhält, erfrischt und belebt. Nicht mehr im Wirken, doch in dem was geschrieben ist, wird es weiter weben und spinnen und vielleicht kommt es irgendwann an den Punkt, an dem es ein Ich wird.

(JS 13.03.2012)

Morgens im Büro

(Der letzte Zivi – Die dritte Woche: Ein Rückblick)

Es ist neun und ich sitze wie jeden morgen im Büro über ein Buch gebeugt und versuche mein Frühstück, ein Käsebrötchen, hinunterzubekommen. Nebenbei schlürfe ich ab und zu an meinem lauwarmen Kaffee vom Vortag. Scheußlich, gehört aber irgendwie dazu. Seit dem ich hier als Zivi arbeite ist es jeden morgen dieselbe Routine.

Aus den Augenwinkeln sehe ich den Chef ins Büro schlurfen. Was macht der denn schon hier? Normalerweise ist er nicht vor elf anzutreffen, was ich auch unzähligen Kunden immer wieder erklären muss, die offensichtlich den frühen Wurm fangen. Zu meinem Leidwesen bin ich dafür verantwortlich diese verfrühten Anrufe entgegenzunehmen. Für mich heißt das jedes Mal: die Lektüre unterbrechen, den Mund mit einem Schluck Kaffee spülen und mit einem freundlichen Lächeln (das hört man wirklich am anderen Ende) den Hörer an mein müdes Ohr drücken.

Jetzt aber schleicht er durch das Großraumbüro auf sein kleineres Chefzimmer zu. Ich vergrabe mein Gesicht in den Seiten von „Das bin doch ich“, beobachte aber die schlurfenden Schritte vom Chef unter den Buchrand hinweg. Die polierten Lederschuhe bleiben stehen. Mein Herz beginnt zu rasen. Was hat das zu bedeuten. Ich hebe das Buch etwas höher, um heimlich einen Blick auf den Chef zu werfen. Er blickt mich an. „Hallo“, sagt er und grinst. Guten Morgen will ich antworten, was herauskommt klingt aber eher wie „Norg“. Langsam setzt sich mein Gegenüber wieder in Bewegung und verschwindet durch die Glastür in seinem Zimmer. Erst jetzt merke ich wie dämlich ich aussehen muss mit dem Buch vorm Kopf, unter dem ich hindurchluge. Schnell lasse ich das Buch sinken. Ich warte noch kurz, bis die Tür ins Schloss fällt und genehmige mit einen großen Schluck Kaffee. Mit dem Ärmel wische ich den Schweiß von Stirn und der Oberlippe. Ich habe es geschafft! Die Angst einen Auftrag zu bekommen, eine Arbeit verrichten zu müssen, ist nie so größer gewesen, als wenn ich hier sitze: morgens um neun, Kaffee trinkend in meine Lektüre vertieft.

(JS 20.07.2011)

Tuesday, March 13, 2012

Nebelleben

Durch den schweren Vorhang dränge ich mich in einen noch schweren Nebel. Die grauen Schwaden zeihen nicht mehr durch den Raum, sie haben sich festgesetzt, eingenistet wie Parasiten. Doch sie scheinen in Symbiose mit den Maschinen zu leben, die an den Tischen sitzend einen Zug nach dem anderen in ihre geteerten Lungen saugen. Ein Pirat stößt mit seinem Holzbein an den Tisch, als er sich zu mir umdreht. Irgendwo klappert ein Degen. Ich fühle den Dolch an meinem Gürtel und zwänge mich durch die schwankenden Leiber auf die Bar zu. Irgendwo finde ich einen freien Hocker, lasse mich fallen und versinke.

Als ich mich wieder durch den Vorhang quäle, streift mattgraues Dämmerlicht über die Dächer. Ich bin mir sicher, dass ich nicht mehr fahren darf, zwäng mich aber auf den Vordersitz meines Fiats und starte den Motor. Nach ein paar Versuchen springt er tuckernd in der morgendlichen Kälte an. Zitternd lenke ich aus der Parklücke auf die Straße und schlage den Weg nach hause ein.

Ich wache in meinem Bett auf. Nachmittagssonne scheint direkt in mein Gesicht, mein Schädel brummt alles andere als golden. Ich quäle mich aus dem Laken, in das ich mich eingesponnen habe, schlurfe in die Küche und löse eine Aspirin in einem Glas Wasser auf. Das Wasser tut mir gut, ich will mehr trinken. Ich finde einen Bourbon. Ein kleines Glas wird nicht schaden.

Während ich ins Schlafzimmer zurückkehre merke ich, dass ich zwar keine Hose aber Schuhe anhabe. Ich habe es aufgegeben mir über so etwas Gedanken zu machen, ziehe die Schuhe aus und schalte den Fernseher an. Auf keinem Kanal finde ich Spencer oder Hill, also schalte ich das Gerät ab, zippe von meinem Bourbon und versuche an nichts zu denken.

Der goldene Streifen der Sonne wandert langsam über die Bettdecke, klettert auf den Fußboden und gleitet schließlich die Wand hinauf. Dann wird es dunkel im Zimmer.

(JS 03.11.2011)