Wednesday, February 16, 2011

Junge Kunst kennt kein Alter

Erschienen im "Bernstein: Zeitschrift für Bildung und Kultur" Nr. 13 (erstes Halbjahr 2009). Auflage 7500. http://bernsteine.bwveck.net/

Junge Kunst kennt kein Alter
von Jonas Stegemann

Gesellschaftlich – so wird gemunkelt – geht durch die Generationen ein rigider Trennstrich; da, wo junge und ältere, womöglich alte Menschen etwas gemeinsam unternehmen oder sich gut und freiwillig verstehen, sollten sie zu mindestens verwandt sein; sonst wird dieser Kontakt als suspekt empfunden. Jonas und Marianne sind nicht verwandt, verstehen sich aber vorzüglich. Wir baten den jüngeren (19) die ältere (72) kritisch zu würdigen.
Jonas Stegemann ist Mitglied der Jugendredaktion des Bernstein und Abiturient an der Freien Waldorfschule Eckernförde.


Bei meiner ersten Begegnung mit Marianne Tralau bot sie mir sofort das „Du“ an.
Diese erste Begegnung fand statt, nachdem ich eine ihrer Zeichnungen gesehen hatte. Die Zeichnung heißt „Streit“ und ist mit Graphit auf Papier festgehalten. Ich stand eine ganze Weile vor der Wand, an der das Bild hing und konnte mich nicht entscheiden, ob ich es für eine Krakelei oder Kunst halten sollte. Ich war fasziniert. Ich versuchte die Zeichnung zu verstehen und betrachtete sie daher vom Nahen, wie ich es bei Gemälden im Museum gewohnt war. Beim näheren Betrachten sollte man doch die Technik erkennen, die der Künstler gebrauchte um seine Aussage mitzuteilen. Dem war aber nicht so. Meine Verwunderung wuchs ebenso wie meine Begeisterung für diese Zeichnung, als ich merkte, dass ich, oberflächlich betrachtet, nicht mehr als einen Bleistiftstrich auf einem Stück Papier vor mir hatte. Ein recht bewegter, ungerader, freihändiger Strich noch dazu, der jedoch das Streitgespräch zweier Menschen auf den Punkt zu bringen vermag.
Mittlerweile kenne ich viele Zeichnungen von Marianne und kann diese auffällige Reduzierung der Mittel als einen eindeutig gewollten Stil der Künstlerin einordnen. Genau dieser Stil ist es auch, der mich seit der ersten Begegnung mit Mariannes Kunst fasziniert. Und damit stehe ich nicht alleine da. Wie Marianne selbst sagt, sind es vor allem Jugendliche, die sich von ihrer Kunst angesprochen fühlen, viele ältere Menschen fänden dagegen oft nicht den Zugang zu dieser Form der Kunst. Doch warum gerade Jugendliche?
In unserer Gesellschaft werden gerade junge Menschen mit farbenfrohen, ausgeklügelten, aufwendig produzierten Werbespots und Serien überschüttet. Die Medien versuchen uns durch versteckte Inhalte psychologisch zu manipulieren und bauen dazu eine nicht mehr überschaubare Scheinwelt auf. Künstlerische Formen werden nicht zum Zwecke der Kunst selbst genutzt, sondern um Halbwahrheiten zu verpacken und dem Konsumenten mundgerecht vorzusetzen. Gezielt spricht die Werbung, ungeachtet des Inneren, das äußerliche Oberflächlichkeit des Menschen an und erfindet Normen, die zu erfüllen das Ziel jedes Menschen zu sein scheint.
Doch auch wenn Jugendliche oftmals leicht manipulierbar sind, merken sie doch, wenn sie mit Lügen überschüttet werden. Diese Manipulation auf unrealistische, menschenfremde Forderungen nach möglichst reiner Haut oder Gegenständen mit angebissenem Apfel auf der Rückseite birgt eine Problematik, die gerade für Jugendliche, die sich ja in einer wichtigen Phase der Suche nach sich selbst befinden, äußerst schwerwiegend ist: Was ist wahr, wem können wir noch vertrauen?
Mariannes Zeichnungen sind anders. Sie versuchen nicht unser Äußeres zu „normalisieren“ oder uns zum Kauf zu überzeugen, wie Mariannes Biographie eindeutig beweist. Sie verstecken sich nicht hinter künstlichen Gesichtern, poppigen Effekten und erotisierender Nacktheit, sondern berühren den Betrachter innerlich durch ihre auf das Wesentliche reduzierte Art und Ehrlichkeit. Der Verzicht auf zum Beispiel perspektivische Korrektheit und andere stilistische Mittel irritieren den Betrachter zwar oftmals, sind aber durchschaubar und dann aber wesentlich für das Verständnis des Bildes. Obgleich Marianne Tralaus Zeichnungen meist eine politik- oder sozialkritische Botschaft beinhalten, verdeutlicht deren innewohnende Authentizität den Anspruch, ein freies künstlerisches Objekt, statt Mittel zum Zweck zu sein
Ich bin nach wie vor von Mariannes Zeichnungen fasziniert und habe selber ein Bild von ihr zu hause. Ich rate jedem sich ihre Ausstellungen anzusehen oder sie in ihrem Atelier, der Frühstücksbühne, zu besuchen, um selbst einen Eindruck Ihrer Kunst zu erhalten.
JS


Marianne Tralau im Internet:
http://www.m-tralau.de/

Monday, February 14, 2011

Entdeckung des Du im Ich

Verdunkelte Stadt,
verrammelte Tür,
einsame Straß
nur du, ich
:ein wir.

(14.02.'11)

Großstadtgedanke

Du sitzt nur da.
Den Blick auf den Boden gerichtet,
Wie ein Kind, das mit der Hand die Augen bedeckt,
Um nicht gesehen zu werden, nicht sehen zu müssen.

Ich frage mich:
Sitze ich auch manchmal so da?
In der U-Bahn, im Café, bei Freunden?
Bin ich so weit, dass ich nicht sehen müssen will?

Ich drehe mich um und sehe,
Dass jeder mal so da sitzt,
Nicht nur in dieser Stadt,
Und auch ich!
Und leise frage ich:
Wann wird ein Mensch
- unsichtbar ?

(08.02.'11)

Ein kleiner Nachtrag

"Ode an den Wein"

Oh Sonnenstrahl, der dich erweckt,
Aus Hügels Boden dich befreit!
Der wärme schickt auf reine Haut,
Zur prallen Reife lässt gedeihen!

Verärgere dich nicht, vergäre!

Oh zarter Tropfen deines Blutes,
Benetze meine zehr'nden Lippen!
Oh Zungenstreichler!
Oh Gaumenschmeichler!
Oh ganzen Körpers Wohlgefühl!

Umhülle mich mit Engelstüchern,
Öffne mein's Verstandes Tor,
Versetze mich in dreifach Schwingung,
Entfalte meiner Zunge Kraft!

Veränderst und betörst du mich?
Erweckst du in mir Phantasien!
Ergreifst du auch Besitz von mir,
Du bist doch mein und wunderschön!

(08.09.'10)

Tuesday, February 8, 2011

Klare Momente

Ich mag diese klaren Momente,
wenn Leben plötzlich greifbar wird
und die Frage nach Sinn sich erübrigt
- in diesem Augenblick.

Wenn mein Himmel aufreist
und ich unverschleiert sehen darf,
dass alles fließt,
dass alles schwingt,
dass alles liebt,
dass alles singt
- in diesem Augenblick.

Diese Momente kommen von innen und kommen allein.
Nach außen trage ich sie nicht.

Dann fällt der Vorhangt wieder
und ich klatsche noch zwei Minuten,
lausche dem Nachhall,
starre auf den schweren Stoff,
der an einigen Stellen leise glitzert.

Und wenn ich dann am nächsten Tag
wieder in der Kneipe sitz, mit Freunden,
die die halbe Wahrheit kennen,
versuch ich den Vorhang mit Gewalt zu öffnen.
Mit klaren
- aber keinen Momenten.

Nur schwerer wird der Stoff,
durchtränkt! mit verspiegelter Wirklichkeit,
immer schwerer bis zur Unbeweglichkeit.

Nur manchmal schließt ein Augenblick
zwei Menschen wie in einer Seifenblase ein.
Da ist dann Liebe, Hoffnung, Zuversicht,
Glauben an das Sein.
(02.02.'11)